Obama kostet
130 Grivnja, Putin auch.
Mir gefällt der Gedanke, dass sich die Preise täglich
ändern könnten. John Lennon und Stalin stehen konstant auf 120 Grivnja. Tot ist
tot – und sicher.
Matrioschka-Puppen
in verschiedenen Grössen und Varianten. John Lennons Unterleib birgt, von
grösser zu kleiner, Paul Mc Cartney, George Harrison und klein Ringo Starr. In
Väterchen Stalin sind (nur) weitere Stalins, wogegen Mister Obama nicht nur
Kennedy und Clinton, sondern auch Ronny Reagan in sich tragen muss. Am tiefsten
in den Eingeweiden Putins schlummert ein glatzköpfiges Leninchen – falls es da
überhaupt schlummern kann. Nicht im Angebot sind Mahatma Gandhi, Christoph
Blocher und Madonna. Vielleicht ausverkauft. Anregung an die Schweizer
Bauernmaler und –schnitzer: Schafft einen Chrigi Blocher und pflanzt ihm – ja
wen denn alles? – in den Ranzen! Für 10 Griwna Materialkosten…
A propos
Matrioschka-Puppen: In den Strassen gibt es auch viele davon. Eher nicht
kugelige, dafür langbeinig-hochhackige, auch schön angemalt.
Aber nicht
darüber möchte ich schreiben, sondern über den grossen Unterschied zwischen den
Begegnungen mit Frauen und mit Männern. Frauen wollen helfen, wollen wissen,
fragen nach, interessieren sich.
Die Kellner
im Hotel sind okay, aber die reception-crew ist more than okay.
Ich finde,
da es kaum eine Beschilderung gibt, nur schwer aus Odessa heraus, halte an und
frage einen Mann nach dem Weg. Antwort: „Too complicated for explain“ und läuft
weiter. Später die gleiche Situation in Izmajil. Zwei Frauen kommen daher.
„Sprechen Sie Deutsch?“, fragen sie mich. „Das ist meine Tochter, sie lernt
Deutsch, und ich habe auch mal ein bisschen gelernt.“ Mutter und Tochter erklären genau, sind aber
nicht zufrieden mit sich, reissen eine Seite aus einem Notizbuch und zeichnen
mir noch alles auf. Im Hotel fragen nur weibliche Angestellte, ob mir Odessa
gefalle oder was mich denn umtreibe. Mein Portemonnaie und meine Schönheit
scheinen dabei nicht gefragt zu sein. So erklären mir junge Girls, die im
Restaurant das Geld für ihre Ausbildung verdienen, ihre Interessen und
Zukunftspläne und was sie über die politische Situation denken. Was denn? Dass
es zwar schade wäre, wenn die Ukraine auseinander brechen würde, aber dass
ihnen ihre persönliche Zukunft als Zugehörige zu einer offenen Welt wichtiger
sei als die im Kopf beschränkte Welt der Ostukrainer, die aus alltäglicher,
noch vom Kommunismus geprägter Arbeitermentalität und vielleicht mal einem
Urlaub in Russland bestehe. Im Fernsehen schauen sie die Berichte über die
gelegten Feuer im Osten, in ihrer Bar läuft aber „Smoke on the water“, bevor
die Punkband auftritt.
Doch noch
etwas zum Frauenfleisch: Mehr davon und schönes habe ich in der Fleischhalle
gefunden. Es riecht nach der unendlichen russischen Weite, nach Bajkal und
Babuschka, nach trinkenden Seelen und geduldiger Erde. Schwein, Kuh, Schaf und
nackte Weiberarme. Alles sauber, ohne Fliegen, und ein Gemälde mit schlemmendem
Bauernvolk oben an der Wand.
Odessa hat
Stil. Ich habe die Beweise.
Ausserhalb
des Zentrums, nach dem Besuch des Fleisches, habe ich Lust auf einen Kaffee. An
der Ecke einer Strassenkreuzung hat es eine Kneipe. Mit netten Tischchen und
bequemen Stühlen davor. Was für einen Kaffee ich denn wolle. Mademoiselle
bringt eine Karte, mehrseitig, mit einer grossen Auswahl, alles nur auf
Russisch und in kyrillischer Schrift. Den Titel „Kaffee“ kann ich entziffern.
Mehr nicht. Was heisst auf Russisch: „Wissen Sie, am liebsten wäre mir ein
mittelgrosser Milchkaffee mit Schäumchen, so eine Art Cappuccino.“ And I get it. Mit einer Amuse-bouche-Schokolade
dazu. Italian-quality-like. Chapeau!
Da lehnt man
sich gerne genüsslich zurück und beobachtet das Treiben in der Strasse. Die
gleiche Frau mit wirrem Haar läuft zielstrebig immer die gleichen 200 Meter auf
und ab. Sie trägt ein schlankes, dunkelrotes Kleid. Armut mit Geschmack. Flucht
sie manchmal, oder höre ich bloss ihre Gedanken? Auf der andern Seite lehnt
einer sein weisses Bike an einen Baum um den Abfallcontainer zu durchsuchen.
Junge Mütter stossen Kinderwagen vorbei und warten, bis die Fussgänger-Ampel
Grün zeigt. Nicht beschaulich, aber beschaubar ist alles.
Bad taste
gibt`s auch: Es begann hoffnungsvoll. In ein Strandrestaurant essen gehen, habe
ich als Tipp erhalten. Meine Erinnerung blendet Bilder ein von griechischen
Stränden und Tavernen vor 40 Jahren. Der erste Taxifahrer will nicht. Es sei zu
weit. Es ist schon dunkel. Der zweite will. Er hat eine sehr tiefe Rebroff-Stimme
und nur ein Bein. Mit zwei Händen bedient er Schaltung, Kupplung und Steuerrad
gleichzeitig. Wir fahren bei Nacht durch breite Strassen ohne Verkehr. Dann auf
kleineren Strassen mal links, mal rechts, und wir sind da. Oh griechische
Tavernen-Romantik! Ich stehe zwischen riesigen Wildwuchs-Hotelklötzen mit
Fun-Beschriftungen, lieblosen Terrassen und automatischen Glaseingängen mit
Security-Personal. (Oskar Maria Graf: „Reisen sollte nur ein Mensch, der sich
ständig überraschen lassen will.“) Mein lieber Öski, lass uns diese Welt
gemeinsam erkunden! Wir nehmen Aufzüge („Schindler“ steht in einem), gehen
durch leere Shopping-Gänge, durchqueren laute, schlafende Discotheken, finden
uns in Tiefgaragen, stehen in sich auflösenden Hochzeitsgesellschaften und
sehen uns selber in verzerrten Spiegelungen. Nicht zu sehen sind das Meer und
ein Taxi. Oh Oskar, hast du das wirklich so gemeint?
Morgen gehe
ich wieder zu den Hellblauen essen. Mit Stil. Zu den scheuen, aber offenen
Mädchen in den Park. Ein unscheinbarer Durchgang führt in einen scheinbaren
Innenhof. Mehr als ein Innenhof, es ist ein idyllischer Park. Very peaceful. Eines
der ihn umgebenden Gebäude ist die Oper. Es wird geprobt. Unaufdringlich wie
die hellblauen Serviererinnen, wie das Zwitschern der Vögel, das Plätschern des
kleinen Springbrunnens und das Körbchen mit Zeitschriften.
In einem andern
Park gibt ein Orchester ein Nachmittagskonzert. Ich geselle mich nicht zu den
spontan Tanzenden, bleibe auf Distanz, an einem Tischchen mit einem georgischen
Weisswein. Oh-Dessa!
Und auch
Kunstfreaks kommen nicht zu kurz: