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Mittwoch, 25. Juni 2014

Fidel Castro, John Lennon und Putin




Obama kostet 130 Grivnja, Putin auch.
Mir gefällt der Gedanke, dass sich die Preise täglich ändern könnten. John Lennon und Stalin stehen konstant auf 120 Grivnja. Tot ist tot – und sicher.
Matrioschka-Puppen in verschiedenen Grössen und Varianten. John Lennons Unterleib birgt, von grösser zu kleiner, Paul Mc Cartney, George Harrison und klein Ringo Starr. In Väterchen Stalin sind (nur) weitere Stalins, wogegen Mister Obama nicht nur Kennedy und Clinton, sondern auch Ronny Reagan in sich tragen muss. Am tiefsten in den Eingeweiden Putins schlummert ein glatzköpfiges Leninchen – falls es da überhaupt schlummern kann. Nicht im Angebot sind Mahatma Gandhi, Christoph Blocher und Madonna. Vielleicht ausverkauft. Anregung an die Schweizer Bauernmaler und –schnitzer: Schafft einen Chrigi Blocher und pflanzt ihm – ja wen denn alles? – in den Ranzen! Für 10 Griwna Materialkosten…




A propos Matrioschka-Puppen: In den Strassen gibt es auch viele davon. Eher nicht kugelige, dafür langbeinig-hochhackige, auch schön angemalt.
Aber nicht darüber möchte ich schreiben, sondern über den grossen Unterschied zwischen den Begegnungen mit Frauen und mit Männern. Frauen wollen helfen, wollen wissen, fragen nach, interessieren sich.
Die Kellner im Hotel sind okay, aber die reception-crew ist more than okay.


Ich finde, da es kaum eine Beschilderung gibt, nur schwer aus Odessa heraus, halte an und frage einen Mann nach dem Weg. Antwort: „Too complicated for explain“ und läuft weiter. Später die gleiche Situation in Izmajil. Zwei Frauen kommen daher. „Sprechen Sie Deutsch?“, fragen sie mich. „Das ist meine Tochter, sie lernt Deutsch, und ich habe auch mal ein bisschen gelernt.“  Mutter und Tochter erklären genau, sind aber nicht zufrieden mit sich, reissen eine Seite aus einem Notizbuch und zeichnen mir noch alles auf. Im Hotel fragen nur weibliche Angestellte, ob mir Odessa gefalle oder was mich denn umtreibe. Mein Portemonnaie und meine Schönheit scheinen dabei nicht gefragt zu sein. So erklären mir junge Girls, die im Restaurant das Geld für ihre Ausbildung verdienen, ihre Interessen und Zukunftspläne und was sie über die politische Situation denken. Was denn? Dass es zwar schade wäre, wenn die Ukraine auseinander brechen würde, aber dass ihnen ihre persönliche Zukunft als Zugehörige zu einer offenen Welt wichtiger sei als die im Kopf beschränkte Welt der Ostukrainer, die aus alltäglicher, noch vom Kommunismus geprägter Arbeitermentalität und vielleicht mal einem Urlaub in Russland bestehe. Im Fernsehen schauen sie die Berichte über die gelegten Feuer im Osten, in ihrer Bar läuft aber „Smoke on the water“, bevor die Punkband auftritt.
Doch noch etwas zum Frauenfleisch: Mehr davon und schönes habe ich in der Fleischhalle gefunden. Es riecht nach der unendlichen russischen Weite, nach Bajkal und Babuschka, nach trinkenden Seelen und geduldiger Erde. Schwein, Kuh, Schaf und nackte Weiberarme. Alles sauber, ohne Fliegen, und ein Gemälde mit schlemmendem Bauernvolk oben an der Wand.




Odessa hat Stil. Ich habe die Beweise.
Ausserhalb des Zentrums, nach dem Besuch des Fleisches, habe ich Lust auf einen Kaffee. An der Ecke einer Strassenkreuzung hat es eine Kneipe. Mit netten Tischchen und bequemen Stühlen davor. Was für einen Kaffee ich denn wolle. Mademoiselle bringt eine Karte, mehrseitig, mit einer grossen Auswahl, alles nur auf Russisch und in kyrillischer Schrift. Den Titel „Kaffee“ kann ich entziffern. Mehr nicht. Was heisst auf Russisch: „Wissen Sie, am liebsten wäre mir ein mittelgrosser Milchkaffee mit Schäumchen, so eine Art Cappuccino.“ And I get it. Mit einer Amuse-bouche-Schokolade dazu. Italian-quality-like. Chapeau!


Da lehnt man sich gerne genüsslich zurück und beobachtet das Treiben in der Strasse. Die gleiche Frau mit wirrem Haar läuft zielstrebig immer die gleichen 200 Meter auf und ab. Sie trägt ein schlankes, dunkelrotes Kleid. Armut mit Geschmack. Flucht sie manchmal, oder höre ich bloss ihre Gedanken? Auf der andern Seite lehnt einer sein weisses Bike an einen Baum um den Abfallcontainer zu durchsuchen. Junge Mütter stossen Kinderwagen vorbei und warten, bis die Fussgänger-Ampel Grün zeigt. Nicht beschaulich, aber beschaubar ist alles.








Bad taste gibt`s auch: Es begann hoffnungsvoll. In ein Strandrestaurant essen gehen, habe ich als Tipp erhalten. Meine Erinnerung blendet Bilder ein von griechischen Stränden und Tavernen vor 40 Jahren. Der erste Taxifahrer will nicht. Es sei zu weit. Es ist schon dunkel. Der zweite will. Er hat eine sehr tiefe Rebroff-Stimme und nur ein Bein. Mit zwei Händen bedient er Schaltung, Kupplung und Steuerrad gleichzeitig. Wir fahren bei Nacht durch breite Strassen ohne Verkehr. Dann auf kleineren Strassen mal links, mal rechts, und wir sind da. Oh griechische Tavernen-Romantik! Ich stehe zwischen riesigen Wildwuchs-Hotelklötzen mit Fun-Beschriftungen, lieblosen Terrassen und automatischen Glaseingängen mit Security-Personal. (Oskar Maria Graf: „Reisen sollte nur ein Mensch, der sich ständig überraschen lassen will.“) Mein lieber Öski, lass uns diese Welt gemeinsam erkunden! Wir nehmen Aufzüge („Schindler“ steht in einem), gehen durch leere Shopping-Gänge, durchqueren laute, schlafende Discotheken, finden uns in Tiefgaragen, stehen in sich auflösenden Hochzeitsgesellschaften und sehen uns selber in verzerrten Spiegelungen. Nicht zu sehen sind das Meer und ein Taxi. Oh Oskar, hast du das wirklich so gemeint?
Morgen gehe ich wieder zu den Hellblauen essen. Mit Stil. Zu den scheuen, aber offenen Mädchen in den Park. Ein unscheinbarer Durchgang führt in einen scheinbaren Innenhof. Mehr als ein Innenhof, es ist ein idyllischer Park. Very peaceful. Eines der ihn umgebenden Gebäude ist die Oper. Es wird geprobt. Unaufdringlich wie die hellblauen Serviererinnen, wie das Zwitschern der Vögel, das Plätschern des kleinen Springbrunnens und das Körbchen mit Zeitschriften.







In einem andern Park gibt ein Orchester ein Nachmittagskonzert. Ich geselle mich nicht zu den spontan Tanzenden, bleibe auf Distanz, an einem Tischchen mit einem georgischen Weisswein. Oh-Dessa!



Und auch Kunstfreaks kommen nicht zu kurz: