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Samstag, 26. Juli 2014

Doamne ajuta

Im Maramureş, ganz nahe bei Gott.






Im Nordwesten Rumäniens, im Grenzgebiet zur Ukraine, seien die liebsten Rumänen zu Hause. Und die frömmsten, füge ich dazu. Die Dichte der Kirchen hat zugenommen. Zwei neuere aus Stein und mindestens eine alte aus Holz dürften es pro Kaff schon sein. Kruzifixe gibt`s etwa so viele wie gekonnt aufgetürmte Heuhaufen. Es stehen keine billigen Frauen mehr am Strassenrand, dafür sorgen die Bäuerinnen mit ihren traditionellen, bis an die Knie reichenden Faltenröcken für eine gottgefälligere Erotik. Und alle haben Holz vor dem Haus. Vor dem Holzhaus. Dahinter sind saftige Wiesen und bewaldete Hügel.








Ob es hier keine dieser landesüblichen Brutalo-Geschichten gibt? Noch 100 km vorher habe ich von einem Burschen eine erzählt bekommen: Er lebe bei den Grosseltern, sein Vater sei im Gefängnis, weil er den Liebhaber seiner Mutter erstochen habe. Die Mutter sei jetzt mit einem dritten Mann zusammen. Er fragt noch nach einer Zigarette und pfeift zwei vorübergehenden Schönen nach.

Der alte Kellner im leeren Speisesaal (gelb und hellblau und mit Spiegeln verziert – ich komme mir vor wie im Innern einer Hochzeitstorte) bringt den „Salata de sezon“ (Kohl und Gurken) und wünscht nicht „Pofta buna“ (Guten Appetit), sondern „Doamne ajuta“ (Gott helfe). Zum Schluss fragt er nicht, ob ich noch einen Kaffee möchte, aber er stellt augenzwinkernd einen teuflisch gut schmeckenden Selbstgebrannten vor mich hin.

Das Berner Oberland ist schön. WAB heisst Wengen-Alp-Bahn. Deren ausgediente Wagen holpern jetzt, von einer Dampflok gezogen, als Touristenattraktion von Vişeu de Sus aus das Vasertal hinauf. Früher, bis zum Sturz Ceauşescus 1989, brachte die Bahn die gefällten Baumstämme ins Tal. Dann ging alles – zum Teil auch wörtlich – den Bach hinunter. Bis ein Berner eine gute Idee und genug Ausdauer hatte. Mit den Touristen habe ich es so wie Karl Valentin mit den Zuschauern eines Fussballspiels: „ So wie`s mal mehr wie 20`000 sind, dann hab` ich keine Lust mehr, dann fühl` ich mich so beengt.“ Darum verzichte ich auf die wild-romantische Canon- und Nikon-Fahrt und knipse die zwei entsprechenden Fotos aus dem Jahreskalender des Souvenir-shops.







Weil es so viel Holz hat im Maramureş, hat man auch die Kirchen aus Holz gebaut. Und wenn irgendwelche einfallenden Barbaren sie abgefackelt haben, hat man sie umso schöner und höher wieder aufgebaut. Einige von ihnen haben es ins Weltkulturerbe-Verzeichnis geschafft.
Aber wo ist der Schlüssel für das schwere Vorhängeschloss des Weltkulturerbes? Ein Mädchen soll ihn für mich auftreiben. Sie huscht aber so flink um die Holzhäuserecken herum, dass ich sie aus den Augen verliere. Es klappt dann doch.
Bei einer andern Kirche scheint die alte Frau auf mich gewartet zu haben. Auf Krücken schleppt sie sich durch den Friedhof und stürzt gar noch.

Was ich in der einen Kirche zu sehen bekomme, ist die dunkle Holzkonstruktion, behängt mit reichlich viel Heiligenkitsch der untersten Geschmacksschublade. Ein Abgebildeter gefällt mir. Ein Rock-Star für Teenager. Schön und zart wie Jim Morrison in seinen jungen Jahren.





Die zweite Kirche des Ortes ist interessanter. Sie ist fast lückenlos direkt aufs Holz bemalt mit kleinen und grösseren Szenen. Der religio-naive Stil ist faszinierend. Teufel und Engel und Kinder geben sich neben andern Heiligen ein Stelldichein.
Es gibt Pferde mit gepunktetem Fell, jemand ist kopfvoran auf einen Zaun gespiesst, ein Kleiner mit Bart trägt Windeln, ein Kasperli holt mit dem Schwert aus, ein Skelett hält die Hand vor seine nicht mehr vorhandene Scham, Kinder gucken ahnungslos aus kleinen Schiffchen, ein Nackter geht verkehrt der Decke entlang, ein anderer Kleiner mit Bart und grossen Augen (ist es ER?) weiss nicht, wie ihm in der Badewanne geschieht, ein Dreifingriger schaut von seinem Schüssel-Hochsitz herunter, und einer nackten Frau wird mit übergrossen Pinseln über die Augen gewischt. – Alles Augenwischerei?
Das Ganze wird „live“ mit zugefügten Texten erläutert nach der Art „und die Moral von der Geschicht`…“.











Ob alles, was sich im die Kirche umgebenden Friedhof befindet, auch weltkulturerbewürdig ist, bezweifle ich.


Aber der atheistische Gottesforscher ist auf etwas sehr Aufschlussreiches gestossen. Die modernen Christen und Christinnen debattieren ja darüber, warum oder ob überhaupt Gott ein Mann sei. Ich kann ihnen jetzt einen Trumpf in die Hand spielen. Alles ist gut, in Ordnung und gerecht:  ER ist auch SIE. ES ist BEIDES – androgyn, zweigeschlechtlich zweigeteilt, oben Mann und unten Frau. Hätte wohl geheim bleiben müssen, daher gibt`s keine Darstellung ohne Lendentuch. Zugegeben, einen Beweis habe ich nicht. Aber einen Schnappschuss, der der Forschung neuen Auftrieb geben könnte. (Vielleicht fassen diesbezüglich auch die paar aufgeschlossenen Allah-Gelehrten Mut. – „Oh, Frau Allah, sind Sie aber gross!“)


Szenenwechsel. Ich komme in Sighetu Marmaţiei an, einer Kleinstadt an der ukrainischen Grenze. Hier hat es ein akribisch dokumentiertes Museum über die Unterdrückung zur Zeit des Kommunismus. „Memorialul Victimelor Communismului“. In einem ehemaligen Gefängnis wird in jeder Zelle über ein Thema informiert. Und es hat viele Zellen über die drei Stockwerke verteilt.


Schade, dass Museen erst entstehen, wenn eine Zeit vorbei ist. Ein „Museul Victimelor Capitalismului“ wäre problemlos zu füllen. Unterzubringen wäre es in einer hässlich-modernen Shopping-Mall. Und der Circus Colosseum könnte die Wanderausstellung übernehmen. (Der hat nämlich neuerdings Kapazitäten frei. – Davon später…)

Auch die Grabsteine sind aus Holz. Holzkreuze eben. Mit ganz besonderen Holzkreuzen ist der Friedhof des Dorfes Sapanţa bestückt. Die sind so besonders (und wirklich ein Knüller!), dass man mit Wegweisern hingelotst wird.
Vor etwa 80 Jahren begann ein Handwerker damit, Szenen aus dem Leben der Verstorbenen in die Kreuze zu schnitzen, diese zu bemalen und mit treffenden Kommentaren zu versehen. Letztere können durchaus sehr kritisch oder ironisch ausfallen.
Als heutiger Besucher gehst du mit einem Schmunzeln durch die engen Reihen der Kreuze. Aber wie wurde das früher aufgenommen? Es galt und gilt doch: „De mortuis nihil nisi bene.“ Über die Toten soll nur Gutes gesagt werden. Aber jeder wusste, dass er eines Tages auch dran kommen wird. Warum liess man – damals! – diesen Tabu-Brecher gewähren? Mit dem Nachfolger von heute verhält es sich natürlich anders, denn er führt die Geld-pipeline der Touristen mitten ins Dorf. Domne ajuta!