Im
Maramureş,
ganz nahe bei Gott.
Im
Nordwesten Rumäniens, im Grenzgebiet zur Ukraine, seien die liebsten Rumänen zu
Hause. Und die frömmsten, füge ich dazu. Die Dichte der Kirchen hat zugenommen.
Zwei neuere aus Stein und mindestens eine alte aus Holz dürften es pro Kaff
schon sein. Kruzifixe gibt`s etwa so viele wie gekonnt aufgetürmte Heuhaufen.
Es stehen keine billigen Frauen mehr am Strassenrand, dafür sorgen die
Bäuerinnen mit ihren traditionellen, bis an die Knie reichenden Faltenröcken
für eine gottgefälligere Erotik. Und alle haben Holz vor dem Haus. Vor dem
Holzhaus. Dahinter sind saftige Wiesen und bewaldete Hügel.
Ob es hier
keine dieser landesüblichen Brutalo-Geschichten gibt? Noch 100 km vorher habe
ich von einem Burschen eine erzählt bekommen: Er lebe bei den Grosseltern, sein
Vater sei im Gefängnis, weil er den Liebhaber seiner Mutter erstochen habe. Die
Mutter sei jetzt mit einem dritten Mann zusammen. Er fragt noch nach einer
Zigarette und pfeift zwei vorübergehenden Schönen nach.
Der alte
Kellner im leeren Speisesaal (gelb und hellblau und mit Spiegeln verziert – ich
komme mir vor wie im Innern einer Hochzeitstorte) bringt den „Salata de sezon“
(Kohl und Gurken) und wünscht nicht „Pofta buna“ (Guten Appetit), sondern
„Doamne ajuta“ (Gott helfe). Zum Schluss fragt er nicht, ob ich noch einen
Kaffee möchte, aber er stellt augenzwinkernd einen teuflisch gut schmeckenden
Selbstgebrannten vor mich hin.
Das Berner
Oberland ist schön. WAB heisst Wengen-Alp-Bahn. Deren ausgediente Wagen holpern
jetzt, von einer Dampflok gezogen, als Touristenattraktion von Vişeu de Sus aus
das Vasertal hinauf. Früher, bis zum Sturz Ceauşescus 1989, brachte die Bahn
die gefällten Baumstämme ins Tal. Dann ging alles – zum Teil auch wörtlich –
den Bach hinunter. Bis ein Berner eine gute Idee und genug Ausdauer hatte. Mit
den Touristen habe ich es so wie Karl Valentin mit den Zuschauern eines
Fussballspiels: „ So wie`s mal mehr wie 20`000 sind, dann hab` ich keine Lust
mehr, dann fühl` ich mich so beengt.“ Darum verzichte ich auf die
wild-romantische Canon- und Nikon-Fahrt und knipse die zwei entsprechenden
Fotos aus dem Jahreskalender des Souvenir-shops.
Weil es so
viel Holz hat im Maramureş, hat man auch die Kirchen aus Holz gebaut. Und wenn
irgendwelche einfallenden Barbaren sie abgefackelt haben, hat man sie umso
schöner und höher wieder aufgebaut. Einige von ihnen haben es ins
Weltkulturerbe-Verzeichnis geschafft.
Aber wo
ist der Schlüssel für das schwere Vorhängeschloss des Weltkulturerbes? Ein
Mädchen soll ihn für mich auftreiben. Sie huscht aber so flink um die
Holzhäuserecken herum, dass ich sie aus den Augen verliere. Es klappt dann
doch.
Bei einer
andern Kirche scheint die alte Frau auf mich gewartet zu haben. Auf Krücken
schleppt sie sich durch den Friedhof und stürzt gar noch.
Was ich in
der einen Kirche zu sehen bekomme, ist die dunkle Holzkonstruktion, behängt mit
reichlich viel Heiligenkitsch der untersten Geschmacksschublade. Ein
Abgebildeter gefällt mir. Ein Rock-Star für Teenager. Schön und zart wie Jim
Morrison in seinen jungen Jahren.
Die zweite Kirche des Ortes ist interessanter. Sie ist fast lückenlos direkt aufs Holz bemalt mit kleinen und grösseren Szenen. Der religio-naive Stil ist faszinierend. Teufel und Engel und Kinder geben sich neben andern Heiligen ein Stelldichein.
Es gibt Pferde
mit gepunktetem Fell, jemand ist kopfvoran auf einen Zaun gespiesst, ein
Kleiner mit Bart trägt Windeln, ein Kasperli holt mit dem Schwert aus, ein
Skelett hält die Hand vor seine nicht mehr vorhandene Scham, Kinder gucken
ahnungslos aus kleinen Schiffchen, ein Nackter geht verkehrt der Decke entlang,
ein anderer Kleiner mit Bart und grossen Augen (ist es ER?) weiss nicht, wie
ihm in der Badewanne geschieht, ein Dreifingriger schaut von seinem
Schüssel-Hochsitz herunter, und einer nackten Frau wird mit übergrossen Pinseln
über die Augen gewischt. – Alles Augenwischerei?
Das Ganze
wird „live“ mit zugefügten Texten erläutert nach der Art „und die Moral von der
Geschicht`…“.
Ob alles,
was sich im die Kirche umgebenden Friedhof befindet, auch weltkulturerbewürdig
ist, bezweifle ich.
Aber der
atheistische Gottesforscher ist auf etwas sehr Aufschlussreiches gestossen. Die
modernen Christen und Christinnen debattieren ja darüber, warum oder ob
überhaupt Gott ein Mann sei. Ich kann ihnen jetzt einen Trumpf in die Hand
spielen. Alles ist gut, in Ordnung und gerecht:
ER ist auch SIE. ES ist BEIDES – androgyn, zweigeschlechtlich
zweigeteilt, oben Mann und unten Frau. Hätte wohl geheim bleiben müssen, daher
gibt`s keine Darstellung ohne Lendentuch. Zugegeben, einen Beweis habe ich
nicht. Aber einen Schnappschuss, der der Forschung neuen Auftrieb geben könnte.
(Vielleicht fassen diesbezüglich auch die paar aufgeschlossenen Allah-Gelehrten
Mut. – „Oh, Frau Allah, sind Sie aber gross!“)
Szenenwechsel.
Ich komme in Sighetu Marmaţiei an, einer Kleinstadt an der ukrainischen Grenze.
Hier hat es ein akribisch dokumentiertes Museum über die Unterdrückung zur Zeit
des Kommunismus. „Memorialul Victimelor Communismului“. In einem ehemaligen
Gefängnis wird in jeder Zelle über ein Thema informiert. Und es hat viele
Zellen über die drei Stockwerke verteilt.
Schade,
dass Museen erst entstehen, wenn eine Zeit vorbei ist. Ein „Museul Victimelor
Capitalismului“ wäre problemlos zu füllen. Unterzubringen wäre es in einer
hässlich-modernen Shopping-Mall. Und der Circus Colosseum könnte die
Wanderausstellung übernehmen. (Der hat nämlich neuerdings Kapazitäten frei. –
Davon später…)
Auch die
Grabsteine sind aus Holz. Holzkreuze eben. Mit ganz besonderen Holzkreuzen ist
der Friedhof des Dorfes Sapanţa bestückt. Die sind so besonders (und wirklich
ein Knüller!), dass man mit Wegweisern hingelotst wird.
Vor etwa
80 Jahren begann ein Handwerker damit, Szenen aus dem Leben der Verstorbenen in
die Kreuze zu schnitzen, diese zu bemalen und mit treffenden Kommentaren zu
versehen. Letztere können durchaus sehr kritisch oder ironisch ausfallen.
Als
heutiger Besucher gehst du mit einem Schmunzeln durch die engen Reihen der Kreuze.
Aber wie wurde das früher aufgenommen? Es galt und gilt doch: „De mortuis nihil
nisi bene.“ Über die Toten soll nur Gutes gesagt werden. Aber jeder wusste,
dass er eines Tages auch dran kommen wird. Warum liess man – damals! – diesen
Tabu-Brecher gewähren? Mit dem Nachfolger von heute verhält es sich natürlich
anders, denn er führt die Geld-pipeline der Touristen mitten ins Dorf. Domne
ajuta!