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Mittwoch, 9. Juli 2014

Tag und Nacht und alle Farben

Alle Farben leuchten für alle. Spazieren ist gratis.







Es ist Sonntag Abend. Das Volk tummelt sich züchtig im Zentrum der Stadt, die darum eine Stadt ist, weil sich hier viele Leute tummeln. Allerdings tummeln sie sich nur am Sonntag. An den andern Tagen haben sie im besseren Fall anderes und im schlechteren Fall nichts zu tun.
Solche Orte, die die Bezeichnung „Stadt“ der zugewanderten Industrie, der daraus resultierenden Geburtenrate und einer „Statt-Planung“ verdanken, sind wohl weltweit der grösste Jagdgrund der heutigen Menschheit. Entsprechend fällt die Beute aus: Blockwohnung, Supermarkt, Auto und Kinderspielplatz. Und deren Qualität, bzw. Offensichtlichkeit der Bedrückung, also deren Lebensqualität (um ein gängiges Wort neu aufzuzäumen) hängt dann wiederum davon ab, ob wir uns in Kolumbien, Rumänien oder der Schweiz befinden.
Wenn es die Stadtväter gut meinen – und hier in Mioveni haben sie es gut gemeint, zusammen mit der gütigen Mithilfe der ansässigen französischen Auto- und Autozubehörwerke – dann wird das Zentrum klotzig aufgemöbelt. Es entsteht – da müssen doch früher Häuser gestanden haben? – eine grossflächige, mehrteilige Verkehrsinsel, ein Verkehrsinsel-Atoll gewissermassen. Mit viel Grün. Für alle. Die Kirche wird zur Kathedrale hochgepusht und die goldbedachten Kuppeln zeugen von der Herrlichkeit des Himmels und der Renault-Dacia-Werke. Auf der andern Seite (Insel-Hüpfen gehört zum modernen Tourismus) befindet sich das neu erbaute Gemeindehaus, das zusammen mit dem dazugehörigen, weiten Vorplatz den Charme und die Behaglichkeit eines Flugzeugträgers ausstrahlt. Nur – und das muss die rot-grüne Fraktion im Stadtparlament durchgedrückt haben – werden Flugzeuglandungen dadurch verunmöglicht, dass mitten auf diesem Platz pazifistische Fontänen aus dem Boden schiessen. Des Sonntagabends nun leuchten diese Wasserstrahlen abwechselnd in allen Farben, und dahinter glitzern gülden die beleuchteten Dacia-Gottes-Werke. Für alle gratis.




Solche Statt-Orte werfen ihre Geschichten auf. Unzählige. Oft gleich gestrickte.
Und manchmal wird eine davon an einen herangetragen:


Mein Name ist Bianca                                                                                                                                                           
Ich bin 22 Jahre alt. Ich arbeite in einem Salon für erotische Massagen. Ich würde gerne andere Länder sehen, aber ich kann nicht weg, weil ich zu meinem 14-jährigen Bruder schaue. Meine Mutter ist nach Spanien gegangen, um dort Arbeit zu finden. Ich habe wenig Kontakt zu ihr und weiss nicht, wo genau sie lebt. Mein Vater lebt nicht mehr. Er hat sich vor sieben Jahren erhängt. Ich bin froh, dass mein Bruder keine Probleme macht und gut lernt in der Schule.




Mein Name ist Cosmin

Ich bin 28 Jahre alt. Ich bin verheiratet und habe eine 5-jährige Tochter. Wir leben in einem Dorf, wo viele keine Arbeit und kein Geld haben und neidisch sind, wenn jemand etwas hat. Letztes Jahr habe ich meine Arbeit bei einem Alteisenhändler verloren, weil er mir den Lohn nicht mehr bezahlen konnte. Seither haben wir oft nichts mehr zu essen im Haus. Vor zwei Monaten habe ich mich auf ein Inserat gemeldet, in dem ein Chauffeur für einen Kleintransporter gesucht wurde. Schon am nächsten Tag konnte ich beginnen. Die Aufträge führten mich im ganzen Land herum. Ich war glücklich. Nachdem mir der Chef nach zwei Monaten den abgemachten Lohn immer noch nicht bezahlt, sondern mir nur 500 Lei gegeben hat, bin ich nicht mehr hingegangen. Aber jetzt habe ich schon eine neue Stelle als Chauffeur gefunden. Hier werde ich 1000 Euro im Monat verdienen (das ist viel mehr als in Rumänien üblich), denn es ist eine internationale Firma, und ich werde in Spanien, Frankreich und Portugal unterwegs sein. Am Montag erhalte ich das Auto und muss gleich nach Lissabon fahren. Der Chef hat mir eine Karte für Benzin gegeben und gesagt, ich dürfe keine Autobahnen benützen. Er hat mir empfohlen ein GPS zu kaufen, aber ich habe ja kein Geld dafür und auch nicht für Strassenkarten. Ich weiss schon, welchen Weg ich nehmen muss: Budapest – Wien – Deutschland – Paris – Madrid. Er hat mir noch 50 Euro gegeben, damit ich unterwegs etwas zu essen kaufen kann. Am Flughafen von Lissabon erhalte ich dann einen neuen Auftrag. Einen Teil meines ersten Lohnes werde ich dann dem Roten Kreuz geben, weil ich andern helfen möchte. Ich bin schon ein bisschen nervös.




Mein Name ist John

Ich bin 30 Jahre alt. Meine Mutter war nicht gut zu mir, und meinen Vater habe ich nie gesehen. Wenn ich Geld hätte, würde ich nach Bukarest gehen und herausfinden lassen, wo er ist. Ich möchte ihn unbedingt kennen lernen.
Vor ein paar Jahren habe ich meine Lebensgeschichte niedergeschrieben. Ich habe sie dann in einen Umschlag gesteckt und diesen zugeklebt.
Er kramt das Couvert aus seinen Siebensachen, reisst es auf und gibt mir fünf handschriftlich verfasste  Seiten zu lesen. Einige Auszüge daraus auf Deutsch:
„Ich möchte hier meine Lebensgeschichte erzählen, die keine gute ist, sondern für mich zu einem Albtraum geworden ist und mich in grosse Verzweiflung gebracht hat.
Ich heisse John S. und habe zwei Geburtsdaten: 24.05.1984 und 29.12. 1985.
Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich zwei Jahre alt war. Ich habe vier Geschwister, die irgendwo leben und zwei Geschwister, die tot sind, weil sie von der stark alkoholsüchtigen Mutter vernachlässigt worden sind.
Als ich etwa ein halbes Jahr alt war, hat mich meine Mutter so stark geschlagen, dass der Kiefer zertrümmert war. Ich weiss nicht, warum sie es getan hat.
Mein Vater hat mich ins Kinderspital gebracht.
Nachher kam ich in ein Waisenhaus. Dort waren wir 130 kleine und grosse Kinder. Ich wurde oft von den Grossen geschlagen. Den Kleinen wurde mit Schlägen gedroht, wenn wir ihnen nicht Geschenke machten (z.B. zu Weihnacht) oder ihnen Geld gaben. Ich verstand das alles nicht, denn wir sollten doch wie Brüder sein und uns lieben, so wie Gott es möchte.
Im Jahr 2000 kam ich ins „Centru de plasament“. Hier wurde das Leben etwas besser. Aber bald hatte ich eine Krankheit. Beim Hände oder Füsse Waschen fiel die Haut ab. Ich erhielt Calcium, aber viel zu viel, so dass ich blau wurde und die Wirbelsäule angegriffen wurde.
Ich wurde in ein Spital gebracht und man diagnostizierte eine Wirbelsäulenkrankheit. Mein Fall wurde im Fernsehen publik gemacht. Dadurch war eine Operation möglich. Danach sollte ich mich sechs Monate erholen. Aber wo?
Ich ging zu der Mutter. Sie stellte mich aber nach einem Monat auf die Strasse, weil ich mich immer nach meinen Geschwistern, nach dem Grossvater und nach dem Namen des Vaters erkundigte.
(Bis heute möchte ich meine drei Brüder sehen und meine Schwester, die nach Kanada verkauft worden ist.)
Ich ging zu Fuss und ohne Geld in die nächste Stadt, von wo aus mich ein Kondukteur gratis nach T.G. fahren liess, wo ich Obdach im Centru de plasement suchte. Ich wurde abgewiesen, aber ein Angestellter versteckte mich dort für einige Zeit und brachte mir jeweils etwas Brot. Es war Winter und ich schlief ohne Decke auf dem Boden.
„Dumnezeu iti da, dar nu iti baga si in traista.“ (Gott gibt dir, aber er steckt es dir nicht in die Tasche.) Ich versuchte, in verschiedenen Häusern gegen Arbeit Unterschlupf und etwas zu essen zu erhalten. Einmal ging ich zu einer Kirche und konnte im Kirchenchor mitsingen. Ich fror viel, und es war mir so elend, dass ich daran dachte mich aufzuhängen. Aber ich schaffte es irgendwie, über den Winter zu kommen.“
Jetzt erhalte ich eine kleine Invaliden-Pension. Aber der, der mir dazu verholfen hat, bewahrt das Geld für mich auf und hat mir noch nie etwas davon gegeben. Ich frage mich, ob das eine Hilfe ist! 





Gabis fucking place

My name is Gabriel – Gabi. I am best mechanic here. Come, look! Here I have … (Er zeigt viele Plastikeimer und Kartonschachteln, die mit Schrauben, Schraubenmuttern, speziellen Werkzeugen, Bremsbelägen und … und … gefüllt sind.) Am tot, I have all, for all cars. I fuck everything. I fuck you, when you want. You know, aici nu este Romania, this is not Romania here, this is fucking place! This man is my helper, este nebun, stii, he is crazy man, he fucks his cat, but good man.
Und er ist wirklich gut. Er spricht mit seinen Motörli, hört ihnen aufmerksam zu, kriecht förmlich in sie hinein, braucht gar die Zunge um etwas zu testen, spuckt aus und sagt – ja, was denn? – Fuck you! -But you see, acum merge, it works! I fuck every car. Seine Frau sitzt unter der Traubenpergola,  lächelt herüber und zieht an ihrer Marlboro. – Ach, mein Gabi, ist halt ein glatter Hund…
Ob ich mitkommen wolle zum Picknick am Sonntag Nachmittag. Er hat nicht „fucking picnic“ gesagt.







Vielen Dank für die Reparatur meines Generators.