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Freitag, 18. Juli 2014

Brombeeren oder Sex

... und beides günstig.

Nach zehn Tagen verlasse ich Curtea de Arges, wo sich die prunkvolle und wohl berühmteste Kirche Rumäniens befindet. Da ich das Rolling sweet home gleich dahinter unter den Bäumen stehen hatte, bin ich täglich und am Wochenende non-stop von den orthodoxen Mönchsgesängen berieselt worden. Dieses Schicksal teilte ich mit einem Rudel wilder Hunde, die, wenn es um einen Brocken Essbares ging, ihrerseits mit Kampfgekläffe für akustische Abwechslung sorgten. Keinen Lärm machten die Spielzeug-Maschinengewehre, welche die Souvenirbuden nebst Heiligenbildern, Gartenzwergen und Made-in-China-Ramsch im Angebot haben. It`s all fake, anyway. Etwas weiter weg vom holy place, für Lob- oder Klagegesänge unerreichbar, ist „the fucking place“, Gabis Autowerkstatt. Dazwischen sind 20 Restaurants, 20 Autowaschanlagen, 20 Second-hand-Kleiderläden, 20 Bancomaten und einige Leute mit Geld und viele ohne.

Ich verlasse also Curtea de Arges, möchte für ein paar Tage in die Bergesruh` um dann – es muss sein – nochmals den Zirkus aufzusuchen.
Ich fahre durch die hügelige Landschaft Transsilvaniens nach Targu Mureş und weiter in die Karpaten. A beautiful drive. Dies ist meist ungarisch-sprechendes Gebiet, und es wird mir klar, warum die Rumänen die ungarische Minderheit nicht sehr mögen: Hier werden nämlich die Häuser und das Drumherum viel mehr gepflegt, man legt Blumen- und Gemüsegärten an, und die Rasenmäher surren, dass es eine Freude ist. Eigeninitiative…





Eine andere Möglichkeit der Eigeninitiative ist – immer wieder anzutreffen – der Strassenstrich. Besser: der Parkplatzstrich. Das können in der Hitze liegende grosse Vorplätze einer Baufirma sein oder kleine im Schatten der Bäume sich befindende Picknickplätze. Wenn du also für eine Pause anhalten willst oder musst, sind schnell mal ein paar Frauen (Mädchen?) bei dir und fragen: „Sex?“. Einmal frage ich zurück: „Kaffee?“. Andrea möchte nur Wasser. Sie ist 22, hat zwei Kinder, zeigt mir Photos von ihnen (der Ältere ist 8 …!), wohnt im Dorf hinter dem Hügel, ist verheiratet und noch mit dem Mann zusammen (nicht unbedingt die Regel). Ihr Einkommen ist nicht gross, aber es ermöglicht der Familie, an Weihnachten sogar ein paar Geschenke unter den Christbaum zu legen.

Eine ziemlich anders gelagerte Form der Eigeninitiative erlebe ich in den Bergen. Auf einem kleinen Pass stelle ich mein Gefährt in die Weide und geniesse die Aussicht. Schon bald steht ein junger Mann vor mir und bietet mir Brombeeren zum Kauf an. Zwei andere kommen aus dem dunkeln Tannenwald. Die drei Brüder sind um die 18 Jahre alt und sind aus einer etwa 100 km entfernten Stadt. Sie haben ihre paar Bani in ein Zugbillet investiert und sind dann zu Fuss nach hier oben gekommen, weil jetzt Beerenzeit ist. Seit einigen Tagen schlagen sie sich, jeder mit einem Plastikkübel, in den Wäldern herum und verkaufen die gesammelten Brombeeren am Strassenrand. Sie schlafen draussen und haben ausser den Kleidern, die sie gerade tragen (und einem Smartphone!) nichts dabei. Wenn es regnet, müsse man sich eben zusammenducken unter einem Baum. Gegessen hätten sie heute noch nichts.


Sie seien acht Geschwister, und die Eltern hätten auch keine Arbeit. Die 19-jährige Schwester verdiene etwas Geld als … Als Babysitterin, erklären sie.
Es beginnt zu regnen und es kühlt merklich ab. Das Rolling Sweet Home wird zum Hotel. Am Morgen ergibt sich ein schönes Bild, wie sich die drei unter der Schweizer-Armee-Wolldecke kuscheln.


Ich will ja weiter zum Zirkus und frage telefonisch nach, ob sie drei willige Jungs brauchen können. Sie klatschen in die Hände, als ich ihnen die positive Antwort ausrichte.
Am Abend in der Vorstellung führt der eine schon ein Pony in die Manege! Eine rumänische Erfolgsgeschichte?