Er heisst
Georgi. Als er 18 war, heiratete er.
Wie üblich, ein Mädchen aus dem Dorf.
Georgi war sexuell neugierig. Und aktiv. Zehn Jahre später hatte er sechs
Kinder. Aber bald keine Frau mehr. „A plecat.“ Sie ist gegangen. Sie habe jetzt
einen andern. Der habe ein bisschen Geld. Georgi hat gar keines. Doch: Fr. 1.50
im Tag. Wenn er Glück hat und ein Auto anhält um einen seiner selbstgemachten
Reisigbesen zu kaufen. Gerade hat der Regen nachgelassen. Die Sonne kommt kurz
hervor. Georgi steht immer da am Strassenrand. Seine Mutter schaue zu den
Kindern. Wenn ein Auto vorbeifährt, weist er mit einer sanften Handbewegung auf
seine Besen. Georgi spricht klar und deutlich. Und emotionslos. Er ist jetzt
30. – Ein Liter Milch kostet Fr. 1.50, aber im kleinen Dorfladen gibt es gar
keine.
Am Abend
erreiche ich Galati. Anfangs Donau-Mündung. Wie letztes Jahr. Da ich mich
auskenne, peile ich den grossen Parkplatz an, an dessen Anfang der McDonalds
steht. Bei ihm gibt`s Mc free Net und einen Burger für 10 Lei. Ich rechne um: 10
Lei sind 2 Georgi-Besen. Wenn also Georgi seine sechs Kinder in den McDonalds
einlädt, kostet das ihn 12 Besen. Ohne Getränke. Dafür gibt`s je einen
Kinderplastikscheiss gratis. Anyway, Georgi, binde Besen! Auch ein paar für
dich. Dann kannst du dir Leim kaufen. Und aus dem Plastiksäckli sniffen. Aber
nicht im McDonalds, erst nachher. – Georgi, ich weiss, dass du das nicht tun
würdest. Oh Georgi…
Lei sind
Löwen. Übersetzt. Löwen liegen faul herum. Manchmal brüllen sie. Weil das
Herumliegen langweilig ist. Im zu kleinen Käfig.
Die
Überraschung: Auf einem Teil des Platzes steht ein Zirkus. Und ich mit dem
Rolling sweet home gleich daneben. Ich höre und sehe die Löwen. Und die
quietschenden Reifen der McDrive-Gockel. Dazu Zirkusmusik.
Wer liest
das über die Strasse gespannte Wahl-Transparent? „Wir sind alle Rumänen! Wir
gehören zu Europa!“
Georgi, geh
wählen! „Wir sind McRomani!“
Victor ist
der mühsamste von allen. Er ist nur halbwegs bei der Sache im Training der
jungen Lei. Er will oft nicht auf das Podiümli hocken. Und wenn er mal drauf
ist, wendet er sich ab und schaut, was hinter ihm ist. So erhält er eben selten
einen Bissen Fleisch. Scheint ihm egal zu sein. Victor ist schwererziehbar.
Aber er ist integriert in die Gruppe. Der Dompteur kümmert sich doppelt so
stark um ihn wie um die andern. Doch das ist ihm auch egal. Zusammengepfercht
im zu engen Käfig, aber alle schön zusammen. Victor weiss nicht, dass dies die
angesagte Sparpädagogik ist. Einen McPäda für Victor!
Ob ich mich
nicht ganz zu ihnen hinstellen wolle, fragt Alexander, dann könne ich ihre
Wasser- und Stromanschlüsse mitbenutzen. Und hier sei noch ein Gratiseintritt
für mich. Alexander und sein Zwillingsbruder sind die Söhne des Zirkusvaters,
welcher als einziger von allen keinen Enthusiasmus ausstrahlt. Er sei
gebrochen, seit er seit einem Unfall nicht mehr auftreten könne. Was er aber
empfindet, ist Genugtuung, da seine Söhne (und auch bereits deren Kinder)
nichts anderes tun wollen.
Alexander hat es mal als Lastwagenfahrer versucht,
aber wie soll man dabei Freude und Lebendigkeit spüren? Die Frau des Bruders sei
gegangen, das kleine Söhnchen aber wollte bei Papi bleiben und wirft diesem in
der Vorstellung die Ringe und Keulen zu. Monica begeisterte sich eines Tages
für den Zirkus inkl. Alexander und tritt unter anderem als Trapezkünstlerin
auf. Dem kleinen Alexander, 8-jährig, hat man auch schon ein farbiges Gwändli
genäht für seine zwei Nummern. Man müsse die Kleinen einfach machen lassen.
(Nur Victor, der junge Löwe, möchte nicht.
– Ob er lieber Lastwagenchauffeur wäre?)
Alexander und Monica:
John, einer
der rumänischen Arbeiter, ist auf seine Art mit ganzem Herzen dabei. Er liebt
das Lama und das Kamel, für die er zu sorgen hat. Er ist zärtlich zu ihnen und
weiss, was sie gerade spüren oder denken. Bei ihnen im Zelt hat er sich seine
Schlafecke eingerichtet. Und genau in dieser Ecke hat es am meisten Fliegen.
Sind es die Bierflaschen, die sie anziehen? Im kleinen Radiöli hat John gehört,
dass es wichtig sei, täglich genug Flüssigkeit zu konsumieren. Also hält er
sich dran. Im selben Radio, erzählt er mir, habe er gehört, dass die Menschen
in der Schweiz über einen garantierten Mindestlohn entscheiden konnten. Er
hätte „Ja“ gestimmt.
Der
Grossvater des Fakirs sei Schweizer gewesen und habe Hausmann geheissen. Aus
Zürich oder in der Nähe. Oder Basel. Er hat keine Zähne mehr, aber er ist hart,
wenn es um Feuer, Nägel oder Scherben geht. Grosse Schlangen sind kein Problem.
Das kleine Krokodil auch nicht. Aber das Kätzchen, das nach der Vorstellung an
seinem Wohnwagen vorbeischleicht, löst bei ihm einen Anfall aus: „Da, eine
Katze, bringt sie weg! Dort ist sie!“ Seine Partnerin, noch immer in voller
Schminke, beruhigt den Hustenden und Niesenden. „War doch nur ein kleines
Büsi.“
Fakir Hausmann und seine Frau warten auf ihre Einsätze
More backstage:
Very backstage:
Später am
Abend gibt`s Gegrilltes und Gebrautes für alle. Nicht zu knapp. Ob er sich
ihnen nicht anschliessen wolle, wird der Schweizer Reisende gefragt. Warum
nicht? Mit meiner Kontorsionsnummer: Wie bringe ich die Socken, wenn ich sie
anziehen will, zu den Füssen? Und die Füsse zu den Socken…
Als ich zu
Bett gehe, tutet noch ein SMS herein. „Nu avem paine si nici salam si nici legume. Anca plange. Nu avem bani.
Avem foame. Cosmin“ – Nichts zu essen – kein Geld – Anca weint.
Richtigstellung heute Sonntag: Der Platz wurde für nichts benutzt. Er musste einfach leer sein. Leer und gross und sauber. Würdig für die Stimmabgabe im Allzweck-Kulturhaus dahinter.
Ein kleiner
Ausflug über die Grenze bei Galati nach Moldawien. Die Strassengebühr muss mit
moldawischen Lei bezahlt werden. Man wechselt gegen „harte“ rumänische Lei. Es
kostet wenig.
Ich fahre in
ein Dorf und werde alt-sowjetisch begrüsst:
Jesus und
Gänse gibt es in jedem Dorf:
Ein
Grossvater hat für seine Enkelkinder einen Spielplatz erstellt:
Am nächsten
Tag mache ich in Galati Wellness. Auf dem hohen Funkturm hat es ein Restaurant
mit Aussicht (natürlich) und auch mit grossem Angebot: Pui de balta –
Froschschenkel, Muschi de vita – nein, das heisst Rindsfilet, und als
Ehrerweisung an die vielen Zuhälter dieses Landes hat es 24 verschiedene
Preparate din peste – Peste nennt man die Zuhälter, bedeutet aber eigentlich
Fisch.
Am Fusse des
Turmes beginnen sich Girls zu versammeln. Für die Schulschlussfeier. Viele „pulpa de fata…“
Zurück nach
Hause. Zum gelben, runden „M“:
Diese
Hochzeit hat vor zwei Jahren stattgefunden:
Kurz danach
kam Rebecca, das Töchterchen:
Cristi, der
Papi, arbeitet beim Zirkus. Die Familie lebt in einem engen, fensterlosen Teil
des Kassen-Anhängers. Mit Mihai, einem weiteren Arbeiter:
Beim
Training mit den jungen Löwen:
Die
Fleischstücke zur Belohnung werden nebendran laufend geschnitten. „Muschi“
natürlich, für die Lei:
Amy reicht
sie durchs Gitter weiter. Wer ist Amy? Zu wem gehört sie? Was hat sie für eine
Funktion im Zirkus?
John hat
heute ohne Schutzbrille geschweisst:
Eating out im Fastfood-Lokal.
Mihai rollt
den “r” beim Sprechen stärker als die Löwen mit ihrem Gebrrrrüll: „I want worrrk
in cirrrcus in Frrrance orr Gerrrmany. Best countrrry forrr me is
Switzerrrland.“
Eigentlich war
mit der Stadt abgemacht, dass der Zirkus heute die letzten Vorstellungen gibt
und morgen Sonntag das Areal verlassen haben muss. Am Mittag kommt die zuständige Stadträtin um
zu veranlassen, dass jetzt sogleich abgebrochen wird. Der Platz werde für eine
Veranstaltung in Zusammenhang mit den Europa-Wahlen gebraucht. Ab Montag sei er
wieder frei. Also wird jetzt alles eingepackt und verladen, dann zieht man 200
Meter weiter, und am Montag darf man dafür alles für ein paar weitere Tage
wieder aufstellen. Der Conférencier flucht, alle Politik sei „bullshit“, und
die Stadträtin beteuert, sie tue nur ihre Pflicht. Alexander nimmt`s gelassen:
Normalerweise koste ein Ab- und Aufbau viel Geld, weil er mit einer langen
Fahrt aller Fahrzeuge verbunden sei. „Aber jetzt gratis!“
Der
Schweizer Caravan muss auch weg. Hätte sich doch gut gemacht, mitten im
Europa-Wahlfestrummel ein CH-Caravan. „Grüsse aus der deutschen der
französischen, der italienischen und der rätoromanischen Schweiz hier nach
Galati und nach ganz Europa!“ Urbi et orbi!
Richtigstellung heute Sonntag: Der Platz wurde für nichts benutzt. Er musste einfach leer sein. Leer und gross und sauber. Würdig für die Stimmabgabe im Allzweck-Kulturhaus dahinter.