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Freitag, 30. Mai 2014

Nach Bukarest

Ikea ist nicht für alle. Hier.
Von vorn: Vom Delta aus fahre ich 250km nach Bukarest. In der Agglomeration empfängt mich ein Gewitterregen und der Feierabendverkehr. „Es“ wirkt: Die riesigen Pfützen, die stinkenden Lastwagen, die totengesichtrigen Fabrikfassaden, die streunenden Strassenrandmenschen und die hellen Frauenbeinchen („pulpa de fata“…), die auf einen schweiss-russigen Bus warten, der sie an Ikea vorbei in ihr Mietloch bringen soll. Ikea und all die westeuropäischen Kaufhäuser haben übrigens den angenehmen Vorteil, dass ihre grossflächigen Parkplätze immer nur wenig belegt sind.

Südlich von Tulcea geniesse ich die schöne Landschaft der Dobrogea. Kornfelder, Kuhweiden, langgezogene Hügel, blechgedeckte Kirchtürme. Ein Junge und ein Mädchen treiben die Kuhherde über die Strasse und fragen mich nach Wasser.



Ich frage sie nach dem Zivilstand und werde nicht enttäuscht: Er ist 19, sie sei 18 und seine „sotia“ (Ehefrau), sagt sie strahlend und stolz. Und seit acht Monaten verheiratet. That`s something to be – oder the only thing to be, vor allem auf dem Land. Was jetzt noch kommt: Kinder und kein Geld. Und eines Tages macht sich der eine aus dem Staub. Manchmal ist es der Dümmere, der flieht, manchmal der Gescheitere, der irgendwo einen Zipfel besseres Leben zu fassen kriegt.






Auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz werde ich fündig: „Restaurant Laguna Verde“. Auf dem Parkplatz stehen teure Autos, Kellner wieseln auf der Terrasse herum, aber den Caravan dürfe ich hier nicht parkieren. Ein Mann mit kleinem Pick-up hilft. 100 Meter weiter, direkt am Ufer, mit unbeschränkter Aufenthaltsbewilligung. Ich koche mir Kartoffeln und Rüebli und lasse das Restaurant nichts verdienen an mir.




Am nächsten Morgen kämpfe und langweile ich mich durchs Morgenverkehrsgedränge ins Zentrum von Bukarest.


Bukarest: - Ist eine grosse Stadt.
Und grosse Städte sind für mich wie… Wie denn? – Wie wenn ich mit zu grossen Schuhen, viel zu weiter Jacke und zu langen Hosen herumlaufen müsste. Die Welt in der XXXL-Dimension und in einer Art quantitativer Tomaten-Purée-Konzentration.
Schon das Herumschlendern ist schwierig, man passt sich dem angesagten Tempo an. Wie willst du sonst eine sechsspurige Strasse überqueren? Soll ich Kirchen und Kathedralen aufsuchen? Und die objektive Architektur der subjektiven Gottesverehrung bestaunen? Museen und Kunstgalerien abklopfen? Damit habe ich es wie andere mit dem Fussball: Schön, dass es ihn gibt für die, die sich dafür begeistern. Und die Menschen? Sie haben alle den Stadt-Blick drauf. Der Bettler ist auf den Boden fokussiert, auf dem er gerade sitzt, die junge Frau auf den Bus, der gerade wegfährt, der sportliche Mann auf das Taxi, das er gerade heranwinkt, ein anderer auf den Ramsch, den er täglich verkaufen möchte, der Porsche-Fahrer auf den alten Renault vor ihm, der ihm gerade den Platz versperrt, die Kinder auf das heulende Ambulanzfahrzeug, das im Chaos des Abendverkehrs stecken bleibt, die Juwelier-Verkäuferin auf das Schaufenster, das sie gerade reinigt und ich auf den Regen, der gerade wieder einsetzt.
Grossstädte sind Seelenkomprimierer. Nach Fassbinder: Stadt essen Seele auf. Damit meine ich nicht die Seelen der Erfolgreichen, derjenigen mit einem guten Job, der Geschäftenden, der kulturell Tätigen und der Schönen. Ich denke an die, die einfach da sind, weil sie da sind. Die Erduldenden und sich irgendwie Durchschlagenden, die mit dem unscharfen, verschwommenen Fokusblick.
Als ich im Delta mit Tiborio durch die Verästelungen der Donau fuhr, winkte er den Kollegen anderer Boote zu und rief ihnen ein paar lustige, belanglose Worte hinüber. In der Grossstadt lehnt ein Priester an einer Strassenecke, blättert in seiner abgegriffenen Bibel und hat ein Schild umgehängt, auf dem er um Geld bettelt für den Wiederaufbau einer Kirche. Er schaut nie auf. Die an ihm Vorbeigehenden interessieren ihn nicht – den Seelsorger. Eine Zigeunerin verkauft Kochlöffel für einen Leu. Sie fragt mich nach einer Zigarette, nimmt sie und hastet davon. Ich auch, weil die Fussgängerampel soeben auf grün schaltet.



Ich setze mich in ein gehobenes Restaurant, trinke einen frisch gepressten Orangensaft im Wert von 30 Kochlöffeln und schaue durch die Glasfront. Gegenüber steht in roter Leuchtschrift „Mon Amour“ über einer Bar. 
Immerhin ergibt sich noch ein Gespräch mit einem Verkäufer eines Foto-Shops. Er will wissen, was ich in Rumänien mache und möchte sich meinen Blog zuhause auf Rumänisch übergoogeln lassen.


Back home. Not rolling. Just sweet. An der Lagune in der Nähe des Bukarester Airport. Brot, Käse, Tomaten, Wein und später Kaffee und Grappa. Letzterer ist meine Beute aus downtown.

(Übrigens: Bukarest sei eine interessante Stadt. Liest man und hört man. Ich kann das durchaus glauben.)


Balotesti heisst der Ort, zu dem die Laguna Verde gehört. Er besteht grösstenteils aus hässlichen Gebäuden und kleinen Wohnblocks. Doch vor jedem hat es ein bisschen Grün und rote Bänke. Vor allem Frauen und Kinder sind es, die hier schwatzen und spielen. Man nimmt einander wahr und posiert gerne für den seltsamen Touristen aus Elvetia.








Typisch, allgegenwärtig und im Überfluss in Rumänien: Autowaschanlagen und Zäune.
In der "Spalatorie" werden Autos gewaschen. A man`s work, nicht automatisch. Die Angestellten (Männer und Frauen) haben`s drauf. Flink und schnell wird abgespritzt, eingeschäumt, abgerieben, nochmals abgespritzt und getrocknet. Sie müssen pressieren, denn sie kriegen den vollen (kleinen) Lohn nur, wenn sie eine gewisse Anzahl Autos schaffen. Wenn zu wenig Kunden kommen - Pech gehabt.
Die Gesamtlänge der rumänischen Zäune übertrifft die Chinesische Mauer. Die Dörfer sind immer gleich strukturiert: Langgezogen der Hauptstrasse entlang, beidseitig an der Strasse ein Graben, dann ein Zaun, dahinter Haus und Garten. Der bevorzugte Sitzplatz ist das Bänklein vor dem Zaun, wo Jung und Alt sitzt, schaut, schwatzt und vielleicht eine Flasche Selbstgebrannten oder etwas Gemüse oder Früchte auf einem Schemel zum Verkauf anbietet.