Manchmal
lasse ich mich ein Stück weiter treiben, manchmal bleibe ich irgendwo hängen
. . . und manchmal brauche ich ein neues Ziel. A place (oder eine Gegend) to go.
Also: Von
Bukarest nordwärts bis zur Nordgrenze des Landes, der Grenze zur Ukraine. Durch
die südlichen Karpaten nach Brasov, durch Siebenbürgen (Transsilvanien hört
sich besser an), wieder in die Karpaten, und dann ins Emmental/Appenzellerland,
das Grenzgebiet zur Ukraine.
Wenn es in
den Bergen regnet, dann regnet`s. Das kenne ich als Schweizer. Und wenn`s
schüttet, dann schüttet`s. Und wenn es am Abend mal aufhört, dann hoffst du auf
morgen. Vergeblich. Und wenn du einen Wohnwagen hast, dann schätzest du das
sichere Dach und auch die Heizung. Und geniessest den abendlichen Grappa in der
trockenen Wärme.
Kaum
abgefahren, ruft Cosmin an. Er sei auf dem Weg nach Brasov. Du hast ja nichts,
keine 10 Lei, und schon gar kein Auto…? Er habe eine Stelle. Seit heute Morgen.
Als Lieferwagen-Fahrer. Gestern davon gehört, heute um sechs Uhr die 15 km zu
Fuss nach Pitesti gegangen, Autoschlüssel und ersten Auftrag erhalten und jetzt
vor Brasov.
Wir treffen
uns an einer wunderschönen Schnellstrassenkreuzung ausserhalb von Brasov. Er
strahlt. Ich strahle mit und dämpfe gleichzeitig die überschwängliche Freude.
Ich habe genug gehört vom nicht existierenden rumänischen Arbeitsrecht. Heute
Ja, morgen Good-bye ist alltäglich. Oder: Ein Mechaniker, tüchtig, zuverlässig,
fachmännisch, muss seiner Chefin das Teil, welches ihm beim Einbau zerbrochen
ist, bezahlen. Konkret: Er arbeitet am nächsten Tag für die Entschädigung und
nicht für seinen Lohn. Ohne zu murren. Normal. Er hat`s ja kaputt gemacht.
Cosmin
strahlt und hat Hunger. Er hat keinen Lei in der Tasche. Aber bald wird er es
haben.
Brasov – ein
Muss für Touristen. Am Fusse der siebenbürgischen Karpaten gelegen, mit den
alten deutschen Bürgerhäusern und… und... Soll ich? – Nein, es muss nicht sein.
Aber dann sicher zum nahe gelegenen Schloss Bran, um dem Fürsten Dracula die
Hand zu schütteln? Und den piepsenden Japanern und… und…
Nein, ich
lande in Fagaras, einer harmlosen Null-Stadt. Und dort auf einem alles andere
als Null-Campingplatz. Sein Chef sei halt ein Spinner, sagt mir ein
Angestellter. Im dazugehörigen riesigen Restaurant im Zirkus-Barock-Stil hat es
keine Gäste. Aber Personal und ein üppiges Angebot. Das Schwimmbad nebendran
ist crazy und gepflegt. Niemand und keine Japanerin, die es mit ihren krummen,
weissen Beinchen verschmutzen könnte.
Am nächsten
Tag steht ein nächster touristischer Test an: Zum Lacu Rosu, Rotsee, einem
Bergsee, der eben oft „rosu“ – rötlich – sich im Sonnenlicht kräusle.
Vorerst geht
es durch „ungarisches“ Gebiet. Die ungarisch-stämmigen Rumänen reden Ungarisch
und schauen sehr gut zu ihren Häusern, Gärten und Feldern.
Alles „very
nice“. Dies gilt leider sehr bedingt fürs Wetter.
Weiter
geht`s, wieder in die Berge. Die sind ja am schönsten bei starkem, trostlosem
Regen. Beim Lacu Rosu ist an ein Aussteigen nicht zu denken, nicht mal an ein
Föteli vom Auto heraus. Lacu Grau-und-Braun. Doch noch ein Föteli – von den
Souvenirläden, die sich der felsigen Strasse entlang um jeden Quadratmeter
streiten. Und eine Zigarette unter einem Wellblech-Vordach.
Der nächste
See ist ein Stausee und touristisch nicht verwertbar. Daher wird er zum
geeigneten Übernachtungsplatz. Doch auch hier hat es zwei Souvenirläden, für
die Aborigenes und ihre Schulklassenausflugskinder.
Und halt
immer wieder Kirchen. Warum nicht gleich mit Golddach? Dafür reicht das Geld
halt nicht auch noch für vernünftiges Material für den Kindergarten…
Vor Campulung
Moldovenesc beginnt der Anhänger zu scheppern. Immer mehr. Radlager? Bremse?
Kurz vor sechs Uhr stehe ich vor einer Garage. Die haben schon Feierabend,
niemand mehr da. Doch, eine zierliche, junge Frau von der dazugehörenden Bar.
Sie will helfen. Und hilft! Ein Mechaniker erscheint, ein zweiter und gar der
Chef. Es werden mal alle Räder inspiziert, dann das schadhafte abgeschraubt,
und morgen um 8 Uhr könne ich zur Reparatur kommen. Mit einem Rad weniger fahre
ich ein Pässchen hinauf – Übernachtung à la Schwarzwald oben auf einer Lichtung
umgeben von Tannen und abziehenden Regenwolken.
Die Garage
hält, was sie versprochen hat: Fachmännisches Know-how und Fähigkeit zur
Improvisation. Die Reparatur dauert einen Vormittag lang, die Arbeiter rennen, wenn
sie ein Werkzeug holen, das zerbrochene und zerquetschte fingergrosse Teilchen
wird neu hergestellt („Tut uns leid, dauert jetzt halt eine Stunde länger.“), der
Chef pendelt zwischen mir, den verschiedenen Aufträgen und seiner Ehefrau.
Dann: „It`s finished.“ Preis: 100 Lei. Nein, sicher nicht mehr. „Wir haben
Ihnen gerne geholfen und wünschen Ihnen weiterhin eine gute Reise. – Doch,
etwas noch: Erzählen Sie doch bitte bei Ihnen zu Hause, wie wir Rumänen
wirklich sind.“ Diese Aussage berührt mehr als wenn ich abgezockt worden wäre.
Die richtige
Stimmung, um den Opferstock eines Klosters aufzusuchen! Von diesen gibt es
einige weltkulturerbgekrönte in der Gegend.
Das
Manastirea Moldovitei ist auch aussen voller Malereien.
Sie stellen den
üblichen christlichen Cocktail dar, die Heiligen im Kontext ihrer heiligen
Taten, dazu viel Blut und Gewalt, garniert mit nackter Haut. Der Stil der
bunten Malereien wirkt irgendwie witzig und lieblich, und der Inhalt braucht
mich ja nichts anzugehen. Das habe ich doch genug gelernt im Leben: „Weisch, du
muesch das chönne trenne – weisch, du muesch di dischtanziere – u vor allem la
di nid la verinahme!“ Habe ich es wirklich gelernt? Es bietet sich eine Übung,
ein spontaner Test: Ich ärgere mich erst mal („Weisch, ärgere nützt nüt – las
doch eifach los – weisch: los laa!“), ich ärgere mich über die
Demutshaltung gewisser abgebildeter Herren. Die aus- und emporgestreckten Arme
mit den dünnfingrigen Händchen. Das mag ja durchgehen bei einem italienischen
Fussballer, der soeben einen Penalty verschuldet hat, aber als Lebenshaltung schmerzt
es jeden rechtschaffenen Atheisten. Und die Haltung, die in der äusseren
Haltung des Kopfes ihren Ausdruck findet. Wieviel Leid hat sie den Menschen
schon gebracht. Dieser Ich-bin-nur-ein-Wurm-Blick gegen oben. Diese
akrobatische Verdrehung der Halswirbel, die den Kopf in eine fast waagrechte
Stellung bringen lässt. Welcher Kopf kann so noch denken? Welcher Mund kann so
noch reden? Das kennen wir doch vom Zahnarzt. Du wirst gaga, deine lallenden
Antworten klingen nur noch nach „Daa – Allah – Hallelujah“. Es ärgert mich,
wenn diese entmündigende und menschenverachtende Haltung als Vorbild und Sinn
des Lebens gepriesen wird. „Ich habe Brot – vielen Dank DIR da oben!“ – „Ich
habe Hunger – auch vielen Dank DIR da oben!“ – „Ich bin gesund und meine Kinder
studieren – vielen Dank DIR da oben!“ – „Ich werde von meinem Mann geschlagen und meine Kinder
hängen an der Leimtüte – ich ertrag`s für DICH da oben!“ „Der Kopf ist rund,
damit die Gedanken ihre Richtung ändern können“, hat Picabia mal gesagt. Und
den hat es übrigens nachweislich gegeben.
Anyway.
„Ärgere dich nicht, distanziere dich, lass es los.“ Die Übung gelingt! Ich
fotografiere den Kopf nochmals, von ganz nahe. Und das schafft Distanz: Der
Kopf ist so kein Kopf mehr, er ist eine Kartoffel. Und eine Kartoffel liegt und
steht nicht. Liegende, in sich ruhende Kartoffel-Materie. Durch Urknall,
Evolution und menschlichen Fleiss entstanden. Erfordert keine seelischen
Verrenkungen und demütigen Kniefälle, höchstens ein bisschen Dankbarkeit, wenn
sie gebraten, gesalzen, mit etwas Butter dran auf dem Teller liegt.
Hier also
die Ausgangssituation:
Hier
körperliche Freuden und ihre möglichen Folgen:
Alles ist
gut:
Zurück ins
reale Leben, ins Dorf neben dem Kloster. Ein erster Schritt, zum Friedhof. Ein
Mütterchen befreit ein Grab vom wuchernden Gras. Daneben kümmert sich ein Bauer
ums verregnete Heu. Einen andern freut`s, dass mir sein geschmücktes Pferd
gefällt. Wieder ein anderer sitzt mit der Bierflasche in der Hand (keine
demütig-weisse feingegliederte) vor einem Laden und spricht mich auf Deutsch
an. „Ich 15 Jahre in Deutschland gearbeitet, jetzt wieder da, Scheiss-Rumänien,
egal, ich kriege Rente wegen Bein, da, auf Baustelle mit Bagger, auf Bein,
kaputt, egal, aber muss wieder nach Deutschland für neue Prothese, egal, meine
Mutter auch in Deutschland, aber gestorben, egal. Hier Scheisse, gute Reise.“
Ein
Wegweiser zeigt, wohin es zur alten Schmalspurbahn geht. Der Bahnhof ist
dadurch erkennbar, dass hier die Geleise enden und es ein schönes, neues
WC-Schild gibt. Und eine alte, leider verschlossene Lok-Remise. Aber – und das
ist Rumänien – der zwischen Geleisen und Hühnern herum stolpernde Tourist ist
gesichtet worden, und schon steht der Lok-Führer da. Er hat heute frei. Er hat
häufig frei, denn der Fahrplan ist nicht sehr dicht: Am Samstag und am Sonntag
um 8 Uhr. Etwa 30 km und zurück. Er zeigt die zwei Dampflokomotiven und die
Diesel-Lok. Dann verabschiedet er sich höflich.
Auch die
nächste Rolling-home-Adresse ist auf einem Pass, auf 1100 Metern. Der Dumnezeu
lässt sich endlich von meinem Kartoffel-Blick erweichen und schickt schönes
Wetter.
Downtown vom
Pass: