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Samstag, 7. Juni 2014

Karpatenregen und endlich Sonne

Manchmal lasse ich mich ein Stück weiter treiben, manchmal bleibe ich irgendwo hängen
. . . und manchmal brauche ich ein neues Ziel. A place (oder eine Gegend) to go.
Also: Von Bukarest nordwärts bis zur Nordgrenze des Landes, der Grenze zur Ukraine. Durch die südlichen Karpaten nach Brasov, durch Siebenbürgen (Transsilvanien hört sich besser an), wieder in die Karpaten, und dann ins Emmental/Appenzellerland, das Grenzgebiet zur Ukraine.

Wenn es in den Bergen regnet, dann regnet`s. Das kenne ich als Schweizer. Und wenn`s schüttet, dann schüttet`s. Und wenn es am Abend mal aufhört, dann hoffst du auf morgen. Vergeblich. Und wenn du einen Wohnwagen hast, dann schätzest du das sichere Dach und auch die Heizung. Und geniessest den abendlichen Grappa in der trockenen Wärme.

Kaum abgefahren, ruft Cosmin an. Er sei auf dem Weg nach Brasov. Du hast ja nichts, keine 10 Lei, und schon gar kein Auto…? Er habe eine Stelle. Seit heute Morgen. Als Lieferwagen-Fahrer. Gestern davon gehört, heute um sechs Uhr die 15 km zu Fuss nach Pitesti gegangen, Autoschlüssel und ersten Auftrag erhalten und jetzt vor Brasov.
Wir treffen uns an einer wunderschönen Schnellstrassenkreuzung ausserhalb von Brasov. Er strahlt. Ich strahle mit und dämpfe gleichzeitig die überschwängliche Freude.



Ich habe genug gehört vom nicht existierenden rumänischen Arbeitsrecht. Heute Ja, morgen Good-bye ist alltäglich. Oder: Ein Mechaniker, tüchtig, zuverlässig, fachmännisch, muss seiner Chefin das Teil, welches ihm beim Einbau zerbrochen ist, bezahlen. Konkret: Er arbeitet am nächsten Tag für die Entschädigung und nicht für seinen Lohn. Ohne zu murren. Normal. Er hat`s ja kaputt gemacht.
Cosmin strahlt und hat Hunger. Er hat keinen Lei in der Tasche. Aber bald wird er es haben.

Brasov – ein Muss für Touristen. Am Fusse der siebenbürgischen Karpaten gelegen, mit den alten deutschen Bürgerhäusern und… und... Soll ich? – Nein, es muss nicht sein. Aber dann sicher zum nahe gelegenen Schloss Bran, um dem Fürsten Dracula die Hand zu schütteln? Und den piepsenden Japanern und… und…
Nein, ich lande in Fagaras, einer harmlosen Null-Stadt. Und dort auf einem alles andere als Null-Campingplatz. Sein Chef sei halt ein Spinner, sagt mir ein Angestellter. Im dazugehörigen riesigen Restaurant im Zirkus-Barock-Stil hat es keine Gäste. Aber Personal und ein üppiges Angebot. Das Schwimmbad nebendran ist crazy und gepflegt. Niemand und keine Japanerin, die es mit ihren krummen, weissen Beinchen verschmutzen könnte.





Am nächsten Tag steht ein nächster touristischer Test an: Zum Lacu Rosu, Rotsee, einem Bergsee, der eben oft „rosu“ – rötlich – sich im Sonnenlicht kräusle.
Vorerst geht es durch „ungarisches“ Gebiet. Die ungarisch-stämmigen Rumänen reden Ungarisch und schauen sehr gut zu ihren Häusern, Gärten und Feldern.



Alles „very nice“. Dies gilt leider sehr bedingt fürs Wetter.

Weiter geht`s, wieder in die Berge. Die sind ja am schönsten bei starkem, trostlosem Regen. Beim Lacu Rosu ist an ein Aussteigen nicht zu denken, nicht mal an ein Föteli vom Auto heraus. Lacu Grau-und-Braun. Doch noch ein Föteli – von den Souvenirläden, die sich der felsigen Strasse entlang um jeden Quadratmeter streiten. Und eine Zigarette unter einem Wellblech-Vordach.



Der nächste See ist ein Stausee und touristisch nicht verwertbar. Daher wird er zum geeigneten Übernachtungsplatz. Doch auch hier hat es zwei Souvenirläden, für die Aborigenes und ihre Schulklassenausflugskinder.





Und halt immer wieder Kirchen. Warum nicht gleich mit Golddach? Dafür reicht das Geld halt nicht auch noch für vernünftiges Material für den Kindergarten… 


Vor Campulung Moldovenesc beginnt der Anhänger zu scheppern. Immer mehr. Radlager? Bremse? Kurz vor sechs Uhr stehe ich vor einer Garage. Die haben schon Feierabend, niemand mehr da. Doch, eine zierliche, junge Frau von der dazugehörenden Bar. Sie will helfen. Und hilft! Ein Mechaniker erscheint, ein zweiter und gar der Chef. Es werden mal alle Räder inspiziert, dann das schadhafte abgeschraubt, und morgen um 8 Uhr könne ich zur Reparatur kommen. Mit einem Rad weniger fahre ich ein Pässchen hinauf – Übernachtung à la Schwarzwald oben auf einer Lichtung umgeben von Tannen und abziehenden Regenwolken.
Die Garage hält, was sie versprochen hat: Fachmännisches Know-how und Fähigkeit zur Improvisation. Die Reparatur dauert einen Vormittag lang, die Arbeiter rennen, wenn sie ein Werkzeug holen, das zerbrochene und zerquetschte fingergrosse Teilchen wird neu hergestellt („Tut uns leid, dauert jetzt halt eine Stunde länger.“), der Chef pendelt zwischen mir, den verschiedenen Aufträgen und seiner Ehefrau. Dann: „It`s finished.“ Preis: 100 Lei. Nein, sicher nicht mehr. „Wir haben Ihnen gerne geholfen und wünschen Ihnen weiterhin eine gute Reise. – Doch, etwas noch: Erzählen Sie doch bitte bei Ihnen zu Hause, wie wir Rumänen wirklich sind.“ Diese Aussage berührt mehr als wenn ich abgezockt worden wäre.
Die richtige Stimmung, um den Opferstock eines Klosters aufzusuchen! Von diesen gibt es einige weltkulturerbgekrönte in der Gegend.
Das Manastirea Moldovitei ist auch aussen voller Malereien.



Sie stellen den üblichen christlichen Cocktail dar, die Heiligen im Kontext ihrer heiligen Taten, dazu viel Blut und Gewalt, garniert mit nackter Haut. Der Stil der bunten Malereien wirkt irgendwie witzig und lieblich, und der Inhalt braucht mich ja nichts anzugehen. Das habe ich doch genug gelernt im Leben: „Weisch, du muesch das chönne trenne – weisch, du muesch di dischtanziere – u vor allem la di nid la verinahme!“ Habe ich es wirklich gelernt? Es bietet sich eine Übung, ein spontaner Test: Ich ärgere mich erst mal („Weisch, ärgere nützt nüt – las doch eifach los – weisch: los laa!“), ich ärgere mich über die Demutshaltung gewisser abgebildeter Herren. Die aus- und emporgestreckten Arme mit den dünnfingrigen Händchen. Das mag ja durchgehen bei einem italienischen Fussballer, der soeben einen Penalty verschuldet hat, aber als Lebenshaltung schmerzt es jeden rechtschaffenen Atheisten. Und die Haltung, die in der äusseren Haltung des Kopfes ihren Ausdruck findet. Wieviel Leid hat sie den Menschen schon gebracht. Dieser Ich-bin-nur-ein-Wurm-Blick gegen oben. Diese akrobatische Verdrehung der Halswirbel, die den Kopf in eine fast waagrechte Stellung bringen lässt. Welcher Kopf kann so noch denken? Welcher Mund kann so noch reden? Das kennen wir doch vom Zahnarzt. Du wirst gaga, deine lallenden Antworten klingen nur noch nach „Daa – Allah – Hallelujah“. Es ärgert mich, wenn diese entmündigende und menschenverachtende Haltung als Vorbild und Sinn des Lebens gepriesen wird. „Ich habe Brot – vielen Dank DIR da oben!“ – „Ich habe Hunger – auch vielen Dank DIR da oben!“ – „Ich bin gesund und meine Kinder studieren – vielen Dank DIR da oben!“ – „Ich werde  von meinem Mann geschlagen und meine Kinder hängen an der Leimtüte – ich ertrag`s für DICH da oben!“ „Der Kopf ist rund, damit die Gedanken ihre Richtung ändern können“, hat Picabia mal gesagt. Und den hat es übrigens nachweislich gegeben.
Anyway. „Ärgere dich nicht, distanziere dich, lass es los.“ Die Übung gelingt! Ich fotografiere den Kopf nochmals, von ganz nahe. Und das schafft Distanz: Der Kopf ist so kein Kopf mehr, er ist eine Kartoffel. Und eine Kartoffel liegt und steht nicht. Liegende, in sich ruhende Kartoffel-Materie. Durch Urknall, Evolution und menschlichen Fleiss entstanden. Erfordert keine seelischen Verrenkungen und demütigen Kniefälle, höchstens ein bisschen Dankbarkeit, wenn sie gebraten, gesalzen, mit etwas Butter dran auf dem Teller liegt.
Hier also die Ausgangssituation:


Und hier die genauere Betrachtung:



Hier körperliche Freuden und ihre möglichen Folgen:


Alles ist gut:


Zurück ins reale Leben, ins Dorf neben dem Kloster. Ein erster Schritt, zum Friedhof. Ein Mütterchen befreit ein Grab vom wuchernden Gras. Daneben kümmert sich ein Bauer ums verregnete Heu. Einen andern freut`s, dass mir sein geschmücktes Pferd gefällt. Wieder ein anderer sitzt mit der Bierflasche in der Hand (keine demütig-weisse feingegliederte) vor einem Laden und spricht mich auf Deutsch an. „Ich 15 Jahre in Deutschland gearbeitet, jetzt wieder da, Scheiss-Rumänien, egal, ich kriege Rente wegen Bein, da, auf Baustelle mit Bagger, auf Bein, kaputt, egal, aber muss wieder nach Deutschland für neue Prothese, egal, meine Mutter auch in Deutschland, aber gestorben, egal. Hier Scheisse, gute Reise.“







Ein Wegweiser zeigt, wohin es zur alten Schmalspurbahn geht. Der Bahnhof ist dadurch erkennbar, dass hier die Geleise enden und es ein schönes, neues WC-Schild gibt. Und eine alte, leider verschlossene Lok-Remise. Aber – und das ist Rumänien – der zwischen Geleisen und Hühnern herum stolpernde Tourist ist gesichtet worden, und schon steht der Lok-Führer da. Er hat heute frei. Er hat häufig frei, denn der Fahrplan ist nicht sehr dicht: Am Samstag und am Sonntag um 8 Uhr. Etwa 30 km und zurück. Er zeigt die zwei Dampflokomotiven und die Diesel-Lok. Dann verabschiedet er sich höflich.





Auch die nächste Rolling-home-Adresse ist auf einem Pass, auf 1100 Metern. Der Dumnezeu lässt sich endlich von meinem Kartoffel-Blick erweichen und schickt schönes Wetter.



Downtown vom Pass: