Stimmt
es, was er mir gesagt hat? Der Mann ohne Körper.
Nur ein Kopf, der knapp über dem Gartenzaun empor sah. Wie das Krokodil im Kasperlitheater der Kinder. So spricht er mit mir, ohne Pause, viel mehr als das Krokodil. Er ist, wie viele sind: Einerseits nach westlichem Cültür-Empfinden nicht der Allerhellste, etwas kindlich-naiv, freudig wie der Kasperli, andererseits weiss er über Vieles Bescheid und kann ein bisschen Englisch und Französisch. Alles, auch wie viele andere, vom Fernsehen. (Es gibt ausser den zahlreichen volksverdummenden auch zwei Dok-Sender.) Er weiss nicht nur, wo die beste Schokolade der Welt hergestellt wird, sondern auch, wann welche belgische Königin die Schweiz besuchte. Und eben, dass die rumänischen Banknoten in der Schweiz gedruckt werden. Dann müsste jede 1-Leu-Note, mit der ein Armer ein müdes Weissbrot kauft, und jede der vielen 100-Lei-Noten, die als „spaga“ (Schmiergeld) den Ärzten bezahlt werden müssen, das CH-Armbrust-Qualitätszeichen mit aufgedruckt haben. Ungerechtigkeiten weltweit mit Schweizer Präzisions-Beteiligung, das kennen wir doch.
Nur ein Kopf, der knapp über dem Gartenzaun empor sah. Wie das Krokodil im Kasperlitheater der Kinder. So spricht er mit mir, ohne Pause, viel mehr als das Krokodil. Er ist, wie viele sind: Einerseits nach westlichem Cültür-Empfinden nicht der Allerhellste, etwas kindlich-naiv, freudig wie der Kasperli, andererseits weiss er über Vieles Bescheid und kann ein bisschen Englisch und Französisch. Alles, auch wie viele andere, vom Fernsehen. (Es gibt ausser den zahlreichen volksverdummenden auch zwei Dok-Sender.) Er weiss nicht nur, wo die beste Schokolade der Welt hergestellt wird, sondern auch, wann welche belgische Königin die Schweiz besuchte. Und eben, dass die rumänischen Banknoten in der Schweiz gedruckt werden. Dann müsste jede 1-Leu-Note, mit der ein Armer ein müdes Weissbrot kauft, und jede der vielen 100-Lei-Noten, die als „spaga“ (Schmiergeld) den Ärzten bezahlt werden müssen, das CH-Armbrust-Qualitätszeichen mit aufgedruckt haben. Ungerechtigkeiten weltweit mit Schweizer Präzisions-Beteiligung, das kennen wir doch.
In
Siebenbürgen und im Norden sieht das Land, sehen die Häuser, die Gärten, die
Felder viel gepflegter aus als im Süden. Auch die Landschaft, Berge, Täler,
Hügel und Wälder sind beeindruckend schön. Dies gilt auch für den Nordosten,
den Landesteil Moldova.
Sind die
Menschen hier noch freundlicher und offener? Oder liegt der gute Kontakt an
meinen zunehmenden Rumänisch-Kenntnissen?
Wo kann ich
auf praktische Art den Wassertank füllen? Da fragt man halt mal in einer Kneipe
eines Durchfahrtsdorfes. Erfolgreich. Ziehbrunnenschlepp-Aktion einiger Knaben,
Diskussion in der Kneipe über Gott und die Welt, Bier trinken („Nein, kein
Tuborg, ein einheimisches, bitte!“) Geschenke (Kirschen, Äpfel) entgegennehmen,
die betrunkene Alte auf passende Nähe-Distanz halten und zuletzt noch alle
guten Wünsche mehrmals austauschen: Sanatate, drum bun, numai bine bis zu viata
lunga. Und klar, Rumänien gefällt mir foarte mult. Und für uns ist`s
verschissen hier, wird dann oft noch gesagt. Ja, der Spagat zwischen dem Gefühl
der Heimat, die dieses wunderbare und von der Natur her reiche Land für die
Menschen ist und dem Ärger über die fehlende Aussicht auf eine mehr
versprechende Zukunft. „Romania is shit!“
Eine bessere
Atmosphäre strahlt Iasi („Iasch“) aus, der Hauptort von Moldova (nix
velwechsern mit der Republica Moldova). Diese Atmosphäre hat sicher viel zu tun
mit den Universitäten. Man sieht viele junge Menschen, es hat Strassencafés,
Kinos, gute Buchhandlungen, Antiquariate, und es strahlt auch Ruhe aus, nicht
nur das Städte-übliche Run-for-your-life.
Mein romanian phone klingelte:
„Hello Chrrristoph, I am Mihai frrrom the cirrrcus, wherrre arrre you? We
arrre in Pechea (schade – kein rrr drin!). Einer der Zirkus-Arbeiter. Das passt
zu meinem Plan. Ich fahre Rrrichtung Galati, wieder mal.
100 km
Hauptstrasse. Ich denke während des Fahrens an zwei Dinge:
Erstens an
die Verkehrssicherheit. Es ist gefährlich auf Rumäniens Strassen, sagt die
mitteleuropäische Wahrnehmung. Oft schlechter Strassenzustand, keine Trottoirs
innerorts, am Strassenrand gehende Menschen, Schlangenlinie fahrende Velos,
Pferdefuhrwerke auch im Dunkeln ohne Licht, viel zu langsame alte und viel zu
schnelle protzige Autos, Lastwagen in oft zweifelhaftem Zustand. Und trotzdem:
Es funktioniert. Das Free-style-System scheint nicht zu mehr Unfällen zu führen
als unser überreguliertes. Auf meinen mehreren tausend Kilometern on the road
habe ich noch keinen Unfall gesehen.
Zweitens warte
ich auf die Gelegenheit, ein schönes Föteli von einem der unzähligen
Strassenverkaufsstände zu machen. Da wird die Ware auf einem kleinen Tischchen
(oder auch ohne) präsentiert. Drei Gläser Honig, ein Körbchen Kirschen oder
Erdbeeren, ein Kohl, Knoblauch, Kartoffeln usw. Konkret heisst das, ein Mann
oder eine Frau sitzt einen Tag lang an der Strasse auf einem Hocker und wartet
auf den erlösenden Käufer. Noch konkreter: Tausende von Menschen hocken täglich
hinter sieben Zwiebeln, innerorts und ausserorts, bei jedem Wetter, und starren
vor sich hin.
Nun war`s
soweit: Eingangs eines Dorfes eine aufgeregte Menschentraube, Hände in die Luft
werfende und kreischende Weiber, ein Lastwagen halb im Strassengraben, ein
umgestürztes Holzgestell, rundherum alles rot von Kirschen, und mittendrin,
regungslos auf dem Bauch liegend, ein toter Mann. Was empfinde ich? – Es ist
die Hoffnung dieses Mannes, mit der er sich am Morgen an die Strasse gesetzt und
auf die paar Lei Tagesverdienst gewartet hat. Und es ist der Schmerz und die
Verzweiflung seiner neben ihm auf den Boden spuckenden Frau, die das
Holzgestell reparieren und das kleine Häufchen Früchte oder Gemüse fortan
allein verkaufen wird.
Pechea, ein
Ort, einfach ein Ort, bestehend aus einer langen Durchgangsstrasse, einer
Kreuzung, die so etwas wie das Zentrum markiert, wo es zwei Läden, eine
low-class-Kneipe und eine upper-low-class-Pizzeria hat, weiter oben die Schule,
daneben eine schmale Zufahrt zum Stadion: Ein schlechter Fussballplatz mit ein
paar Betonstufen auf einer Seite, quasi als VIP-Loge. Platz für 22 Fussballer
oder für einen mittelgrossen Zirkus.
Das Zelt ist
abgebrochen, die drei Vorstellungen sind absolviert, jetzt drei Tage frei oder
warten oder Füdeli sünnelen (die Schlangenfrau), also ein Fussballplatz ohne
das tragende Mittelfeld, nur mit Wohnwagen, gelangweilten Kamelen, dummen
Ponies, kläffenden Hunden und depressiven Löwen auf den Aussenbahnen und in der
Verteidigung. Es ist sehr heiss. Dann kommt er, plötzlich ist er da, der
böenartige Wind, der dem Gewitter vorausgeht. Er wirbelt nicht nur den Staub im
Strafraum auf, sondern die Beschaulichkeit der ganzen Szenerie. Seitenklappe
des Löwenwagens schliessen, kleines Kamel- und Lamazelt abbrechen, Ponies
einsammeln, die Tiere in die Anhänger verladen, Sonnenvordächer einrollen, das
Äffchen von seinem Freilaufpflock in den Plastik-Hunde-Reise-Käfig verpflanzen,
die Schlangenfrau zieht ein Höschen übers Füdeli und verzieht sich mit den zwei
Zwerghündchen in den Wohnwagen zu den andern Plüsch-Tierchen.
Der Regen
danach – halb so wild – Schwein gehabt. Doch die Kamel-, Äffli- und alle Füdeli
bleiben in ihren Boxen.
Am nächsten
Tag wird ausgeschlafen. Nur die Löwen halten sich nicht an die allgemeine Ruhe.
Später kriege ich Geschichten erzählt.
Der
Kamel-boy, der sich immer für seinen Gestank entschuldigt (zu Recht), will
Hebräisch lernen und nach Israel auswandern, weil ihm eine Stimme immer sage,
dort sei seine Zukunft. Wenn ich ihm etwas zu essen anbiete, nimmt er es lieber
für „my animals“ als für sich selber. Er könne nicht mehr alles kauen, weil
sein Kiefer und sein Mund zertrümmert gewesen seien. Seine Mutter habe ihn mit
zwei Jahren übel hergerichtet. Er sei ihr nicht böse, sie sei eben
Alkoholikerin gewesen und überfordert mit ihm. Später habe der Vater, der
Polizist gewesen sei, die Mutter in eine Entzugsanstalt gebracht, und die
ältere Schwester habe Geld für seine Kieferoperation aus Kanada geschickt.
Wichtig sei das Herz, nicht der Kopf, hat er im Leben gelernt. Eine Frau zu
haben, kann er sich nicht richtig vorstellen. Er habe und liebe ja seine
„animali“. Und täglich ein paar Bierchen. Schlafen kann er maximal drei
Stunden. Wegen den „animali“, sagt er. Und am Schluss: „Thank you very much, Mister Christopher, for talking to
me.“
Die andere
Geschichte gibt`s so oft wie Zugpannen in Italien. Fast jeder hat eine zu
erzählen:
Mihai hat
vier Jahre bei einem Zirkus in Frankreich gearbeitet. Für mehr als 1000 Euro monatlich!
Dabei hat er einen entscheidenden (rumänischen) Fehler gemacht: Da er, wie die
meisten einfachen Leute, kein Bank-Konto hat, hat er das ersparte Geld einem
Freund (und es ist in diesen Geschichten immer der beste Freund) nach Rumänien
geschickt. Als er zurückkam: „Sorry, hab`s nicht mehr.“ Weg ist weg, da kann
man nichts machen.
Nein,
Rumänien ist schön. Man könnte zum Beispiel die Hälfte seiner Häuser
fotografieren. Und tausend Bildbände damit machen. Farbige! Es herrscht die
Freiheit der Farbe. Und ihrer Kombinationen. Anything goes. Wie auch bei den
Kleidern. Jedenfalls bei den vom internäschenel geltenden taste nicht
heimgesuchten gewöhnlichen Menschen. Frau trägt diesen Sommer rot-blau
gestreift zu grün-rosa geblümt. Zu orangen Plastikschuhen empfehlen sich ein
weinrot getupfter, langer Jupe und ein worn-out-shirt des TSV Saarbrücken.
Socken dazu in braun oder hellgrün. Für den Herrn an Stelle des Jupes eine
weisse Sondermüll-Trainingshose mit seitlichen gelb-schwarzen Streifen. Die
Farbgebung fürs Haus ist dann vielfältig zu den Kleidern abstimmbar. Passend ist
jede Farbabstufung jeder Farbe. Sorgfalt ist beim Anstrich des Zaunes geboten:
Unbedingt kräftige Farbtöne verwenden. Der Anstrich des davor stehenden
Ziehbrunnens kann, muss aber nicht damit in Dialog treten. Zum Abschmecken
nehme man bunte, zum Trocknen aufgehängte Wäsche und eventuell noch die
blau-gelb-rote Nationalflagge. (Die EU-Flagge ist ein No-go, diese ist der
Fassade des Gemeindehauses vorbehalten.)
Der Zirkus
Colosseum verschiebt sich 20 km weiter. Auf dem Land kämen mehr Interessierte.
Man stellt dann auch nur das kleine Zelt auf, das sich so viel besser füllt.
Mal zwei Tage Löwengebrüll ist doch eine Abwechslung zum alltäglichen
Pferdehufgeklapper und Hundegebell. Warum die Löwen brüllen, würde ja nur
Brigitte Bardot interessieren… Der vom durch die Dörfer fahrenden
Lautsprecherwagen angekündigte Clown ist schon vor längerem einer Sparmassnahme
geopfert worden. Ob nicht ich etwas in dieser Richtung machen wolle? Ein Quereinsteiger
ist something to be. Ich stelle mich vorerst mal auf einer niedrigeren Sprosse
zur Verfügung: Als Anhänger schleppender Fahrer des Lautsprecherwagens. Daher
kann ich jetzt die „Juhui, der Zirkus ist da!“-Ankündigung fast auswendig.
Schulmädchen winken mir zu. What a feeling!
Am Abend
bestelle ich mir eine Pizza downtown. Verzierung inklusive.